
In meiner Arbeit als Kartenleger habe ich mit verschiedenen Decks gearbeitet – Tarot, Lenormand, Orakel aller Art. Manche sprechen mich direkt an, manche flüstern zart – und manche schauen mich einfach nur stumm an, als wollten sie sagen: „Was willst du denn von mir?“
So geht es mir – ganz ehrlich – mit den Kipperkarten.
Dabei sind sie keineswegs ein schlechtes Deck. Ganz im Gegenteil: Die Kipperkarten haben eine lange Tradition, eine treue Fangemeinde und eine ganz eigene Art, Geschichten zu erzählen. Sie sind für viele ein wertvoller Begleiter – nur eben nicht für mich. Und genau darüber möchte ich heute ein bisschen erzählen.
Kipperkarten – Woher kommen sie?
Die Kipperkarten entstanden in Deutschland, vermutlich um 1890. Die genaue Herkunft ist bis heute nicht ganz geklärt – aber sie wurden wohl nach der Wahrsagerin Frau Kipper benannt (auch wenn Historiker hier ein wenig mit den Schultern zucken). Was sicher ist: Sie waren schon damals sehr beliebt, vor allem in der bürgerlichen Schicht.
Anders als das Tarot (mit Wurzeln in der Renaissance) oder die Lenormandkarten (mit ihrer französischen Namensgeberin), atmen die Kipperkarten den Geist des deutschen Kaiserreichs. Sie zeigen Szenen aus dem Alltagsleben jener Zeit: den reichen guten Herrn, die Hauptperson, das Gericht, das Gefängnis, das Wohnzimmer, das kurze Unheil – eine bunte Gesellschaft, irgendwo zwischen Gesellschaftsspiel und Sozialstudie.
Was unterscheidet die Kipperkarten von Tarot und Lenormand?
- Im Tarot findest du archetypische Bilder, Symbolkraft, spirituelle Tiefe. Es ist ein Spiegel der Seele.
- Im Lenormand geht es konkret zur Sache: Hund, Fuchs, Ring, Herz – alltagstauglich und schnell auf den Punkt gebracht.
- Und die Kipperkarten? Die erzählen oft eine Szene, wie aus einem Theaterstück: Person A trifft Person B im Wohnzimmer, während draußen das Gericht winkt und das unerwartete Geld schon an der Türschwelle liegt.
Das bedeutet: Die Karten müssen im Zusammenhang gelesen werden, oft in größeren Legungen. Einzelkarten sind meist schwer zu deuten, weil sie auf Interaktionen und Konstellationen angelegt sind. Sie brauchen den Rahmen, den Kontext – und einen Leser, der bereit ist, sich in die Szenerie einzufühlen.
Und warum sprechen sie nicht zu mir?
Tja, gute Frage.
Ich habe es probiert. Wirklich. Ich habe mich Anfang der 2000er, nachdem ich mit den Tarot- und Lenormandkarten bereits vertraut war, auch an die Kipperkarten gewagt. Ich habe sie aufgelegt, angeschaut, versucht, ihre Sprache zu verstehen. Aber… es blieb still.
Die Karten wirken auf mich wie aus einer anderen Welt – nicht mystisch oder geheimnisvoll, sondern eher wie ein altes Fernsehspiel aus den 70ern. Sie haben ihre Berechtigung, keine Frage. Aber sie sprechen nicht meine Sprache.
Während mich das Tarot auf seelischer Ebene berührt und die Lenormandkarten mir ihre Botschaften wie gute Reporter zustecken, sitzen die Kipperkarten irgendwie am anderen Tisch – mit Hut, Monokel und verschränkten Armen.
Ich weiß, dass viele Kolleginnen und Kollegen hervorragend mit ihnen arbeiten. Sie schwören auf ihre Personenkarten, auf die Klarheit in Fragen rund um das soziale Umfeld, Geld, Beruf und Rechtliches. Ich erkenne das an – aber ich spüre es nicht.
Und das ist etwas, das ich meinen Klient*innen immer wieder sage: Ein Kartendeck muss zu dir sprechen. Es ist wie bei Menschen. Manche triffst du, und es klickt sofort. Bei anderen… bleibt der Funkensprung aus.
Wie arbeitet man mit den Kipperkarten?
Typischerweise nutzt man sie in größeren Legemustern, z. B. in der Großen Tafel, ähnlich wie bei den Lenormandkarten. Einzelne Karten haben klare Bedeutungen, etwa:
- Nr. 1 – Hauptperson (männlich): Der Fragesteller selbst oder ein Mann im Zentrum.
- Nr. 2 – Hauptperson (weiblich): Die Fragestellerin oder eine zentrale Frau.
- Nr. 11 – Viel Geld gewinnen: Klingt gut, heißt aber oft nur „Geld kommt“ – nicht zwingend im Lottoformat.
- Nr. 24 – Diebstahl: Vorsicht – hier kann etwas verloren gehen, sei es materiell oder emotional.
Aber: Die Karten entwickeln ihre volle Aussagekraft oft erst im Zusammenspiel. Es ist wie ein Gesellschaftsdrama – mit Beziehungen, Spannungen, Nachbarn, Erbschaften und heimlichen Absichten. Wenn man ein Faible dafür hat, kann man großartige Geschichten daraus lesen.
Ich respektiere die Kipperkarten. Sie haben ihre Qualität, ihre Sprache, ihre ganz eigene Welt. Aber sie gehören nicht zu meinen bevorzugten Werkzeugen. Sie sind für mich wie ein Gast auf einer Party, mit dem man sich freundlich unterhält, aber bei dem man weiß: Das wird keine tiefere Verbindung mehr.
Ich arbeite deshalb nur selten mit Kipperkarten. Wenn sie in einer Beratung auftauchen, dann meist ergänzend, oder wenn es eine sehr spezielle Frage gibt, bei der sie besonders gut passen. Ansonsten bleibe ich meiner bewährten Kombination aus Tarot und Lenormand treu – denn hier fühle ich mich zu Hause.
In der Kartenwelt gibt es viele Sprachen – und nicht jede muss mit einem selbst harmonieren. Ich lade dich ein, selbst zu spüren, welche Karten mit dir sprechen. Und wer weiß – vielleicht sind die Kipperkarten ja genau dein Ding. Bei mir jedenfalls bleiben sie höflich grüßende Bekannte – mehr nicht.
Herzlichst
Bernhard